Eine Badewanne in der Wildnis
Länger können wir auch nicht in der Vergangenheit Colorados weilen. Es geht weiter – fast bis zur Grenze von Utah. Wir erleben den größten „Höhensturz“. Vom Wintereinbruch auf fast 4.000 Höhenmeter wandelt sich die Landschaft vor unseren Augen. Die Aspen, die in rot, gelb und orange am Wegesrand leuchten, weichen wiederum dem roten Sandstein: Wir erreichen Gateway. Vor 15 Jahren wären wir hier nur auf eine Tankstelle und ein Geschäft gestoßen. Heute können wir im Gateway Canyon Resort einchecken. Es hat einen berühmten Gründer: Jon Hendricks, der auch den Discovery Channel in die Welt gerufen hat. Sein Wunsch war es, einen Ort zu schaffen, wo Gäste den Wundern der Natur nahe kommen und sie für sich entdecken können. Mit Gateway hat Hendricks für sein Vorhaben ein besonderes Fleckchen Erde gefunden. Vom Hotel aus haben wir den besten Blick auf den ikonischen Palisade Rock, der aus dem roten Sandstein herausragt. Die beeindruckende Gegend ist noch „new on the radar“, wie wir erfahren, sie soll aber Nationalpark werden. Dass es noch nicht soweit ist, ist Glück für uns. So können wir die Abgeschiedenheit in Ruhe genießen. Unsere Anlaufstelle ist der Adventure Center des Hotels, wo die Gäste ihre Aktivitäten organisieren können. Während sich die anderen aus unserer Gruppe für eine Fahrt mit dem Quad entscheiden, leihen wir uns zu zweit Mountainbikes aus, nicht für die anspruchsvollen Trails in den Bergen, sondern für eine gemütliche Fahrt am nahegelegenen Dolores River. Diesmal haben wir mehr Glück, was die Tierwelt betrifft. Wir sehen zahlreiche Hasen am Wegesrand, eine Schlange kreuzt unseren Weg und Rehe durchqueren den Fluss. Sogar die Kojoten fangen an zu heulen.
Am nächsten Tag verlassen wir die Idylle Richtung Grand Junction. Unser erster Stopp ist dort nicht das Zentrum, sondern die Schluchtenlandschaft, die sich rund 600 Meter über dem Tal erhebt: das Colorado National Monument. Mit seinen elf Canyons aus rotem Sandschein und außergewöhnlichen Felsformationen, die aus den Schluchten hervorragen, wird das Gebiet auch als Mini Grand Canyon bezeichnet. Dies ist auch nicht weit hergeholt, schließlich zählen beide Landschaften zum sogenannten Colorado Plateau. Seit 1911 steht das Colorado National Monument unter besonderem Schutz. Die Geschichte dazu liest sich typisch amerikanisch, denn es war die Beharrlichkeit eines Einzelnen, die dies ermöglichte. Als John Otto Anfang des 20. Jahrhunderts als Arbeiter nach Grand Junction kam, erkannte er als Erster die Schönheit dieser bis dahin als unpassierbare Wildnis empfundenen Schluchten. Er begann Wege in den Canyons und auf die Plateaus anzulegen und schrieb zahlreiche Briefe an die Regierung, in denen er auf bis zu 40 Seiten dafür plädierte, die Landschaft zu einem Nationalpark zu erklären. Fünf Jahre musste er Überzeugungsarbeit leisten, bis die Schluchten zum National Monument erklärt wurden. Otto wurde der erste Park Ranger und kümmerte sich für die nächsten 16 Jahre für einen Dollar pro Monat um den Park. Seine Leidenschaft ging so weit, dass er die Natur der Canyons einer Hütte als Wohnort vorzog. Nur seine Frau konnte diesen Lebensstil nicht ertragen: Sie verließ ihn nur wenige Wochen nach der Hochzeit. John blieb im Colorado National Monument – und Jahre später entdeckte man sogar eine Badewanne von ihm inmitten der Canyons, wie uns Barbara Bowman vom Tourismusverband beim Picknick erzählt.
Von unserem Rastplatz können wir bis ins Tal Grand Valley blicken, in dem neben Grand Junction auch die Stadt Fruita liegt. Deren Name drückt wohl am besten aus, wofür die Region steht. Dank der Hitze, die die Felsenlandschaft speichern kann, dem vielen Sonnenschein und der niedrigen Luftfeuchtigkeit gedeihen hier Früchte besonders gut. Für seine Pfirsiche ist die Gegend berühmt – ebenso wie für den guten Wein, der von über 20 Weingütern produziert wird. Gestärkt erkunden wir anschließend das Colorado National Monumen auf zweikleineren Wanderungen, die beide am dem Historic Rim Drive liegen. Die Straße entstand schon in den 30er Jahren, als sie in Handarbeit in den Stein gehauen wurde. Heutzutage ist sie bei Autofahrern wie Mountainbikern als Tour durch das Monument beliebt.
Am nächsten Morgen machen wir uns zu unserer letzten Fahrt durch Colorado auf. Auf der Reise zurück nach Denver treffen wir schließlich ganz am Ende noch auf den Namensgeber des Bundesstaates: den Colorado River. Seinen Namen „roter (colorado) Fluss“ gaben ihm spanische Abenteurer aufgrund des roten Schlamms, den der Fluss mit sich führte. Am Tag zuvor hatte uns Barbara Bowman noch erklärt, was den Bundesstaat für sie so besonders macht: „Colorado ist das beste was Amerika zu bieten hat: Wir haben die Great Plains, die Rocky Mountains und die Canyons.“ Auf der Strecke können wir sie alle noch einmal bewundern: die roten Felsenlandschaften, das Gebirge der Rocky Mountains mit seinen leuchtenden Aspen und schließlich erblicken wir kurz vor Denver noch einmal die scheinbar endlosen Great Plains: Wir sind wieder am Ausgangspunkt unserer Reise zurück!
Weitere Teile unsere Trips durch Colorado:
Teil 1 - Boulder: Zwischen Hochgebirge und Steppenlandschaft
Teil 2 - Aspen: Umgeben von Viertausendern
Teil 3 - Crested Butte: Kulinarisches Colorado
Teil 4 - Telluride: Reise in die Vergangenheit
Teil 5 - Gateway: Der rote Sandstein
Teil 6 - Grand Junction: Eine Badewanne in der Wildnis
Teil 7 - Denver: Ein blauer Bär und ein Glas Zimtbier zum Abschied